Wenn Conni früher einen Brief vom Amt bekam, legte sie ihn oft erst einmal beiseite. „Ich habe ihn gelesen, aber oft nicht verstanden, was da wirklich steht“, gibt sie offen zu. Dann suchte sie jemanden, der ihr half, oder probierte, die Sätze Stück für Stück zu entschlüsseln. Auch beim Ausfüllen von Formularen brauchte sie Hilfe. Nachrichten vom Handy verschickte sie aus Prinzip per Sprachnachricht oder rief die Personen lieber an.
Lesen und Schreiben – aber mit Hürden
Conni kann lesen und schreiben, aber nicht so sicher, dass sie in allen Alltagssituationen problemlos zurechtkommt. Sie gehört zu den rund 200.000 Menschen in Sachsen, die funktionalen Analphabetismus haben – Menschen, die zwar Grundkenntnisse besitzen, aber Schwierigkeiten haben, längere Texte zu verstehen oder selbst zu verfassen. „Ich habe mich oft geschämt“, erzählt die 42-Jährige. „Man denkt, alle anderen können das viel besser. Aber ich will mich davon nicht mehr unterkriegen lassen.“
Ein Kurs, der neue Wege öffnet
Seit April 2019 besucht Conni – mit einer etwa dreijährigen Unterbrechung – den Alphabetisierungskurs „Du schaffst das!“ beim CJD in Chemnitz. Von Montag bis Freitag sitzt sie gemeinsam mit anderen Erwachsenen im Klassenraum, liest Texte, schreibt kurze Notizen und übt sowohl Rechtschreibung als auch Grammatik. „Wir lernen hier in unserem Tempo“, sagt die Kursteilnehmerin. „Wenn man Fehler macht, ist das kein Problem. Das war früher in der Schule ganz anders.“
Engagement für mehr Teilhabe
Das CJD engagiert sich in Sachsen seit 2005 erfolgreich in der Alphabetisierungsarbeit und ist Mitglied im Bundesverband für Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Ziel ist es, Menschen wie Conni zu unterstützen, ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu verbessern und damit ihre Selbstständigkeit und beruflichen Chancen zu stärken.
„Unser Hauptziel ist, die Teilnehmenden fit für den Alltag zu machen“, erklärt Ronny Meyer, Sozialpädagoge im CJD. Gemeinsam mit Kollegin Anja Ranft leitet er den Kurs und begleitet die Lernenden Tag für Tag mit viel Geduld, Humor und Herzblut durch den Buchstabendschungel. „Wir arbeiten mit erwachsenengerechten Lehrmethoden, praxisnahen Übungen und bieten sozialpädagogische Unterstützung an. Lernen funktioniert nur, wenn man sich sicher und verstanden fühlt.“
Conni teilt ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit
Am 16. Oktober erzählte Conni beim RTL-Thementag „Mit uns einfach lesen – eine Aktion von RTL und Stiftung Lesen“ offen von ihrem Weg. In einem Fernsehbeitrag berichtet sie, wie herausfordernd es ist, trotz Schulbildung ständig an Grenzen zu stoßen und wie befreiend es sich anfühlt, diese Grenzen Schritt für Schritt zu überwinden. „Das erste Mal einen längeren Text richtig zu lesen, ohne zu stocken, war ein Riesenerfolg für mich“, sagt sie stolz.
Alphabetisierung braucht langfristige Unterstützung
Funktionaler Analphabetismus hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit Chancen, Motivation und Unterstützung – genau das, was Teilnehmende im CJD erfahren.
„Alphabetisierung und Grundbildung sind entscheidend für gesellschaftliche Teilhabe. Das CJD hat sich in Sachsen seit vielen Jahren mit großem Engagement dafür eingesetzt. Unter den aktuellen Förderbedingungen ist jedoch keine kostendeckende Finanzierung möglich. Als gemeinnütziger Träger kann sich das CJD nicht länger an den entstehenden Defiziten beteiligen, sodass der Kurs zum 30. November 2025 endet, und nicht fortgeführt wird. Alphabetisierung ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die staatlich dauerhaft abgesichert sein muss“, erklärt Stoyan Dimitrov, Gesamtleiter des CJD Sachsen/Thüringen.
Doch Conni zeigt, dass Lernen und Durchhalten möglich sind. Auch wenn der Kurs endet, bleibt sie motiviert, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Sie beweist, dass Mut, Ausdauer und Unterstützung den Weg zu mehr Selbstvertrauen und neuen Chancen öffnen. Für die Chemnitzerin besteht Bildung nicht nur aus Buchstaben und Sätzen. Für sie ist Bildung der Schlüssel zu Selbstständigkeit, Teilhabe und einem selbstbestimmten Leben.