Brücken bauen nach der Wende
Das CJD in den 1990er Jahren:
Aufbruch, Herausforderung und neue Perspektiven
Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands beginnt ein Jahrzehnt der großen Umbrüche – politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. In ganz Deutschland herrscht zunächst Aufbruchstimmung, doch schon bald zeigen sich auch die Schattenseiten der Wiedervereinigung: Arbeitslosigkeit nimmt zu, insbesondere in den neuen Bundesländern, und Fremdenhass macht sich breit – mit erschütternden Anschlägen auf Asylbewerberunterkünfte, vor allem im Osten. Arnold Dannenmann hatte den östlichen Teil Deutschlands stets im Blick, und so liegt es nahe, dass das CJD schon früh nach der Wende in den neuen Bundesländern aktiv wird.
Eines der ersten neuen Projekte ist das Berufsbildungswerk im thüringischen Gera. Im Dezember startet dort ein erster Förderlehrgang mit 36 jungen Menschen mit Behinderungserfahrung. Bereits zwei Jahre später entsteht auf dem Gelände ein vollständiges Jugenddorf mit fast 300 Plätzen. Der Bereich der beruflichen Bildung wächst rasant und wird zu einem zentralen Bestandteil der Arbeit des CJD im Osten. Auch in Erfurt übernimmt das CJD Verantwortung: Eine bestehende Einrichtung für Menschen mit Behinderungserfahrung wird übernommen und stetig ausgebaut. Heute umfasst das CJD Erfurt ein modernes Rehabilitationszentrum, eine integrative Kita, eine Förderschule, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Wohnangebote und ein Seniorenbegegnungszentrum.
Ein besonderes Zeichen für nachhaltige Entwicklung setzt das „Ökoprojekt Arbeiten und Lernen“, das bereits in den 1980er Jahren initiiert wurde und sich nun in den neuen Bundesländern ausweitet. In Thüringen bietet es mehr als 300 jungen Menschen neue Perspektiven. Dabei entstehen sinnstiftende Beschäftigungsfelder, etwa in Pößneck, wo die Teilnehmenden helfen, massive Umweltschäden einer ehemaligen Großmastanlage zu beseitigen.
Neben beruflicher und sozialer Förderung setzt das CJD auch kulturelle Akzente. In Niedersachsen ruft der Jugendmigrationsdienst in Nienburg das Theaterprojekt Sputnike ins Leben – benannt nach dem ersten russischen Satelliten als Symbol des Aufbruchs. Hier arbeiten einheimische Jugendliche, junge Aussiedler und Migranten gemeinsam an selbst entwickelten Theaterstücken. Sie übernehmen Regie, Schauspiel, Musik, Kostüme und Bühnenbild – und verarbeiten in ihren Stücken ihre alltäglichen Erfahrungen. Die Produktionen gehen auf Tournee und werden mehrfach ausgezeichnet.
Das rasche Wachstum nach der Wiedervereinigung bringt das CJD jedoch auch an seine organisatorischen und finanziellen Grenzen. Die Ausdehnung in die neuen Bundesländer, neue Einrichtungen und zahlreiche neue Mitarbeitende verlangen nach strukturellen Veränderungen. Die Verwaltung wird neu aufgestellt: Präsidium und Geschäftsleitung werden getrennt, und die Jugenddörfer in Regionalgruppen organisiert. Diese Neustrukturierung markiert einen tiefgreifenden Wandel – aber auch die Professionalisierung eines stetig wachsenden Werkes.
Am 1. März 1993 verstirbt Arnold Dannenmann im Alter von 86 Jahren. Er findet seine letzte Ruhe in seinem Geburtsort Faurndau am Rande der Schwäbischen Alb. Mit seinem Tod endet eine Ära – doch sein Lebenswerk lebt weiter. 50 Jahre nach der Gründung zählt das CJD bereits 7.200 Mitarbeitende und ist bundesweit wie international als Bildungs- und Sozialwerk etabliert.
Die 1990er Jahre sind für das CJD ein Jahrzehnt des Wandels und des Wachstums. Es begegnet den Herausforderungen der Wiedervereinigung mit Tatkraft, baut Brücken zwischen Ost und West und schafft neue Räume für Bildung, Teilhabe und Zusammenhalt.